Interkulturelle Kommunikation bezweckt den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Kulturen und sozialen Gruppen. Kommunikationsstile variieren stark zwischen den Kulturen, und Kommunikationsnormen sind Ausdruck der Werte jeder Kultur. Der Kern der interkulturellen Kommunikation liegt mehr darin, die gewünschte Resonanz zu erzielen als Nachrichten zu senden. Die grundlegende Frage ist: „Leite ich die gewünschte Antwort ein?“
Den Sinn und nicht bloss die Worte verstehen
Ich lebte zum ersten Mal in Afrika (Niger) in einem kleinen Dorf innerhalb der Sahelzone. Ich genoss es, unter freiem Himmel zu schlafen und jeden Morgen mit der Sonne aufzuwachen. „Wie schön das Wetter doch heute ist“, sagte ich immer und betrachtete den grossen makellos blauen Himmel. Meine nigerianischen Kollegen reagierten nie auf meinen „täglichen Wetterbericht“. Neun Monate nach meiner Ankunft begann die Regenzeit, und all meine Kollegen waren absolut begeistert. „Hast du gesehen, wie schön das Wetter heute ist?“, meinten sie jeden Morgen. Zweifellos hängt die Bedeutung von Wörtern vom Kontext ab, in dem sie verwendet werden. (Fortsetzung folgt…).
„Die Luft lesen“
Als im Niger die Regenzeit begann, war ich erfreut, wie sich die trockene und unfruchtbare Sahelwüste fast über Nacht in eine üppig grüne Landschaft verwandelte. Besonders gefiel mir, dass mein kleines Schlamm- und Strohhaus auf einmal von Gras umgeben war. Es war, als hätte ich plötzlich einen Garten. Die Dorfbewohner, die mich regelmässig besuchten, schienen von meiner Grünanlage weniger begeistert zu sein. „Ariane, du solltest das Gras mähen“, meinten einige. „Oh, es versprüht einen Hauch von Farbe und erinnert mich an die Schweiz. Ich verstehe jetzt, warum ihr die Regenzeit so sehr liebt“, antwortete ich. Und ich liess das Gras stehen.
Doch eines Abends kam ich zurück zu meiner Hütte. Und was sah ich…!?
Sofort stürmte ich durch das Dorf und erzählte den Bewohnern von meiner Begegnung mit der Schlange. Sie sahen mich nur an und erwiderten: „Nun, wir sagten dir ja, du sollst das Gras mähen.“
Verschiedene Möglichkeiten, die Nachricht zu „verpacken“
Was als „gute Kommunikation“ gilt, unterscheidet sich von Kultur zu Kultur. Ich wuchs in einer Kultur auf, in der Botschaften allgemein für bare Münze genommen werden. Präzise, einfache, explizite und klare Kommunikation wird in der Regel geschätzt. Entscheidend ist, was gesagt wird – und nicht, wie es gesagt wird. Hätten mir die Dorfbewohner im Niger gesagt: „Ariane, Gras zieht Schlangen an. Schneid das Gras und du wirst keine Schlangen haben“, wäre ich die erste Person gewesen, die das Gras gemäht hätte. Im Nachhinein hätte ich sie natürlich fragen sollen, warum ich das Gras schneiden sollte. Man möge mir glauben – heute würde ich das tun.
Im Niger werden Botschaften eher implizit als explizit formuliert. Das Verständnis kann davon abhängen, ob man zwischen den Zeilen liest bzw. „die Luft liest“, um nach Hinweisen für das zu suchen, was nicht gesagt wird. Entscheidend ist, wie Dinge gesagt werden, nicht was gesagt wird. Es ist anzunehmen, dass die meisten Afrikaner wissen, dass Gras Schlangen anzieht und es daher nicht explizit gesagt werden muss. Als Schweizerin rechne ich vielleicht mit Bienen oder Hundehaufen im Gras aber definitiv nicht mit Schlangen!
“Kommunikation ist Kultur – Kultur ist Kommunikation.”
– Edward T. Hall
Lost in translation
Der einzige Weg, interkulturelle Unterschiede zu überwinden, ist die Kommunikation, die – paradoxerweise – die Quelle der meisten Missverständnisse zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft ist.
- Missverständnisse bei der Bedeutung von Wörtern: Ein amerikanischer Regisseur geriet durch die Antwort eines europäischen Kollegen (Nicht-Muttersprachler) aus der Fassung, weil dieser meinte, er arbeite „hardly“ (kaum) an einem Projekt. Was er eigentlich sagen wollte, war jedoch, dass er „hart“ daran arbeite.
- Missverständnisse im Gebrauch von Höflichkeiten: Ist „Frau Curdy“, „Sehr geehrte Frau Curdy“, „Liebe Ariane“, „Hallo Ariane“, „An Ariane:…“ oder einfach „Hallo“ die richtige Anrede bei geschäftlichen E-Mails?
- Missverständnisse durch die Art und Weise, wie wir Botschaften vermitteln: „Plaintext“ – Klartext/Direktheit oder das Lesen zwischen den Zeilen; klar „nein“ zu sagen oder zu hoffen, dass „vielleicht“, „eventuell“ oder „Ich werd’s versuchen“ so verstanden wird?
→ Edward T. Hall, der Gründungsvater der interkulturellen Kommunikation als Studienschwerpunkt betonte immer, dass das Reflektieren verschiedener Kommunikationsstile der grundlegendste und wichtigste Aspekt sei, der in einem international/interkulturellen Umfeld zu berücksichtigen sei, um die von uns erwartete Reaktion auszulösen (sei es bei Kollegen oder Kunden).
* Edward T. Hall, Jr. (1914 – 2009), US-amerikanischer Anthropologe der als Gründer der interkulturellen Kommunikation als anthropologischer Wissenschaft gilt.