Der Mehrwert von multikulturellen Teams
Vielfältige und multikulturelle Teams können die Innovation und Kreativität fördern. Ebenso kann kulturspezifisches Wissen innerhalb eines Teams zu einem anpassungsfähigeren Produkt- und Dienstleistungsangebot auf internationalen Märkten beitragen. Studien haben ausserdem gezeigt, dass von Diversität geprägte Teams das Potenzial haben, produktiver und leistungsfähiger als homogene Teams zu sein. Dies gilt jedoch unter der Voraussetzung, dass allen die notwendige Zeit und der notwendige Raum gegeben wird, um sich bewusst zu werden, was jedes Mitglied mitbringt.
Auf diese Weise kann sich das gesamte Team einig darüber werden, wie es am besten kreativ und harmonisch zusammenarbeitet. Andernfalls können Fehlkommunikation, Misstrauen (vielleicht aufgrund von Stereotypen), mangelnde Übereinstimmung, Stress und verminderte Effizienz zur Norm werden und in einer schmerzhaften Kakophonie enden.
“Wir alle mögen Vielfalt, solange sich der andere so verhält wie wir.”
– Howard Phillips

Ich reiste in die USA, um an einem zweiwöchigen Ausbildungsseminar teilzunehmen. Die Klasse bestand aus Amerikanern aus allen Gegenden der USA und einer weiteren Schweizerin aus meiner Heimatstadt – wie klein die Welt doch ist!
Eines Abends erhielten wir eine Gruppenaufgabe, in deren Rahmen wir für den nächsten Tag eine Fallstudie ausarbeiten sollten. Die Anweisungen waren folgende: „Einigen Sie sich auf eine Kundengruppe, mit der Sie arbeiten möchten, definieren Sie die Herausforderungen, die diese Gruppe mit sich bringen könnte, und erörtern Sie die Arbeitsziele.“ Wir fingen an, mögliche Szenarien durchzuspielen, in denen wir uns mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen auseinandersetzten, die wir einbeziehen könnten, sollten oder gar nicht miteinbeziehen wollten. Wir analysierten die Auswirkungen, die die Gruppengrösse und -zusammensetzung auf die Ziele und Ergebnisse haben könnte, die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben könnten usw. Plötzlich sahen meine Schweizer Kollegin und ich auf und stellten fest, dass sich der Rest der Gruppe in Schweigen hüllte. Sie beobachteten uns, wie wir diese Themen intensiv diskutierten, jeden einzelnen Aspekt im Detail betrachteten und uns vergewisserten, dass wir keinen wichtigen Punkt ausliessen. Nach einigen Sekunden peinlicher Stille brach einer der amerikanischen Teilnehmenden in schallendes Gelächter aus und meinte: „Jetzt verstehe ich, warum es manchmal so schwierig ist, mit einigen meiner europäischen Kollegen zusammenzuarbeiten – Ihr neigt dazu, die Dinge übermässig zu analysieren. Lasst uns erstmal das grosse Ganze angehen; wir können die Dinge morgen früh bei Bedarf ändern.“
Analytische und pragmatische Stil
Unterschiede beim Entscheidungs-, Projektmanagement- und Argumentationsstil wirken sich auf multikulturelle Teams aus.
- Aus meiner Sicht als Schweizerin sind der Blick fürs Detail und die von Anfang an richtige Vorgehensweise wichtig. Dies erfordert oft einen langsamen Entscheidungsprozess und eine langfristige Planung. Wenn etwas entschieden wurde, gilt diese Entscheidung als endgültig.
- Die nordamerikanischen Kulturen sind pragmatischer und handlungsorientierter. Das Liefern von Ergebnissen und Effizienz sind wichtiger als hohe Qualität. Das heisst, dass anfängliche Pläne im Laufe der Zeit noch geändert werden können, und solche Änderungen werden oft als Teil des Abenteuers betrachtet.
Die Herausforderungen multikultureller Teams
Das Potenzial für eine überdurchschnittliche Produktivität multikultureller Teams ist hoch – insbesondere in Bezug auf die Breite der Einsichten, Perspektiven und Erfahrungen. Aber mangelnde Kohäsion macht den potenziellen Nutzen oft zunichte.
“Regrettably, culturally diverse teams rarely achieve their full potential.”
– Nancy Adler

Ich leitete gerade einen Workshop mit einem hochgradig multikulturellen Team aus 60 Personen. Irgendwann teilte ich die Mitglieder in Gruppen von 6 Personen auf. Jede Gruppe erhielt 1 Kilogramm Zuckerwürfel, und ich gab ihnen jeweils 20 Minuten Zeit, einen möglichst hohen, freistehenden Turm daraus zu bauen. Es war eine klassische Teambuilding-Übung, bei der sie darüber nachdenken konnten, wie sie zusammenarbeiten wollen. Während der Übung ging ich von einem Raum zum andern, um sicherzustellen, dass alle Gruppen die Aufgabe richtig verstanden hatten. Plötzlich entdeckte ich, dass sich eine Gruppe in zwei Gruppen zu jeweils drei Personen aufgeteilt hatte. Beide Dreiergruppen arbeiteten in gegenüberliegenden Ecken des Raums. Als ich sie fragte, ob die Aufgabe klar sei, antworteten sie: „Ja, sicher, aber wir konnten uns nicht einigen, wie man den Turm baut. Also haben wir den Zucker in zwei Haufen geteilt und bauen stattdessen zwei separate Türme.“ Ich muss wohl nicht erwähnen, dass keine dieser Dreiergruppen die Herausforderung des Zuckerturms gewonnen hat. Beide Türme erwiesen sich als ziemlich schön und stilvoll, aber beide fielen mit Abstand als die niedrigsten Türme aus.
Globale/virtuelle Teams

Die Arbeit in kulturell unterschiedlichen Teams an einem Standort kann zu Verwirrung und Missverständnissen führen. Aber die Arbeit in globalen oder virtuellen Teams über verschiedene Zeitzonen hinweg, mit wenig persönlicher Interaktion und einer Kommunikation via E-Mail und Telefon- oder Videokonferenz ist viel anspruchsvoller. Wenn man mit den Kulturen oder persönlichen Hintergründen der anderen nicht vertraut ist, kann dies zu gegenseitigem Misstrauen führen, und dazu, dass nicht dem globalen Team, sondern nur dem lokalen Team Loyalität entgegengebracht wird.
Der Schlüssel zum Erfolg unter solchen Rahmenbedingungen ist einfach und schwierig zugleich. Er ist „einfach“, da es darauf ankommt, sich auf persönlicher Ebene kennenzulernen, die Bedürfnisse und gegenseitigen Wahrnehmungen des anderen zu teilen, seine Vermutungen explizit zu machen und offen und bereit zu sein, die Perspektiven des anderen zu verstehen. Es ist „schwierig“, weil die Menschen mit bisher fremden Menschen persönlich interagieren und für eine bestimmte Zeit ausserhalb ihrer vertrauten Umgebung arbeiten müssen. Das gegenseitige Kennenlernen braucht Zeit, und Zeit ist in der heutigen Geschäftswelt knapp.
Einer der Aspekte meines Berufs, den ich am meisten mag, ist zu beobachten, wie sich aus der Begegnung von Menschen und dem gegenseitigen Voneinanderlernen eine besondere Magie entwickelt.
Bei einem jährlichen Treffen nutzten wir die Gelegenheit, alle Mitglieder eines globalen Teams (aus fünf Ländern dreier Kontinente) zusammenzubringen, um einen ganztägigen interkulturellen Workshop durchzuführen. Ich bat die Vertreter der einzelnen Standorte, sich zusammenzusetzen und zu definieren, welche Werte ihnen bei ihrer Arbeit über Kontinente hinweg am wichtigsten erschienen. Als alle „Kulturgruppen“ wieder zusammenkamen, waren sie erfreut, dass jede Gruppe „Respekt“ als einen der Werte angegeben hatte. Es war jedoch überraschend zu sehen, wie unterschiedlich dieser Wert in Bezug auf Normen definiert wurde: Respektiere die Gruppe (unterstütze die Gruppe und lass niemals jemanden allein); respektiere die Hierarchie (d.h. verlass das Büro nie vor deinem Chef); respektiere die Älteren (sprich höflich mit ihnen – auch via E-Mail); respektiere die Regeln der Höflichkeit; respektiere Regeln und Gesetze. An diesem Punkt wurde der Dialog interessant.
“Die Stärke liegt in den Unterschieden, nicht in den Gemeinsamkeiten.”
– Stephen R. Covey
→ Es kommt jedem multikulturellen oder globalen Team zugute, über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten innerhalb des Teams sowie deren Auswirkungen auf die Kommunikation, das Verhalten, die Arbeitsprozesse und die Teamarbeit nachzudenken. Auf diese Weise kann sich das Team auf gemeinsame Normen und Strategien einigen, effektive Teamarbeit leisten und vom Mehrwert der Vielfalt profitieren.
*Howard J. Phillips (1941 – 2013), dreifacher Kandidat zur US-Amerikanischen Präsidentschaft
*Nancy J. Adler, Professorin in Internationalem Management an der McGill Universität in Montreal
*Stephen R. Covey (1932 – 2012), US-amerikanischer Geschäftsmann und Bestseller-Autor, „ Die 7 Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg“